Blinde und sehbehinderte Spaziergänger und Reisende, die gern ohne sehende Begleitung mobil sein wollen, nutzen zur Orientierung immer häufiger digitale Hilfsmittel – beispielsweise Apps wie Aypoly oder Blind Square. Nun gibt es mit Camassia einen Neuzugang unter den digitalen Assistenzsystem für die genannte Personengruppe. Sie soll per Bilderkennungsalgorithmus freie Wege suchen und Hindernisse identifizieren…
Camassia erzeugt akustische Signale,
die es Nutzern möglich machen, einem beliebigen Weg zu folgen. Das Neue dabei ist, dass die App weder Satellitennavigation noch elektronische Karten benötigt und auch keine zusätzlichen Sensorsysteme verwendet. Standardmäßig nutzt das Assistenzsystem dabei eine Skala von 24 akustischen Halbtönen, die mittels Stereoklang, Schallintensität und Tonhöhe den Verlauf des Weges räumlich darstellen. Wenn beispielsweise tiefe Töne erklingen bedeutet das „rechts ist frei“ und hohe Töne signalisieren das gleiche für die linke Seite. Bei einem leisen pulsierenden Ton wissen die Nutzer, dass geradeaus freie Bahn ist.
Die Handhabung von Camassia…
…ist auch ganz einfach. Das Smartphone muss natürlich in Laufrichtung gehalten werden und zwar am besten im Querformat. In dieser Position kann das Handy mehr vom Weg erkennen als wenn es im Hochformat gehalten werden würde. Besonders präzise zielen müssen die Nutzer aber gar nicht – sie können also durchaus ein bisschen mit dem Smartphone wackeln, das stört kein bisschen und ist ja beim Gehen kaum zu vermeiden. Trotzdem funktioniert es, weil der Algorithmus jede Sekunde 30 Einzelbilder verarbeitet, die zuvor mit Hilfe des Bewegungssensors im Smartphone begradigt wurden. Auf einer horizontalen Achse vor dem Nutzer berechnet der Algorithmus daraus den Bereich mit der geringsten Farbsättigung und damit die wahrscheinlichste Richtung, um einem Fußweg zu folgen. Mit einer Verzögerung von maximal einer zehntel Sekunde wird diese Information anschließend akustisch dargestellt.
Camassia ist im Reigen…
…der inzwischen sehr zahlreichen Anwendungen für blinde und sehbehinderte User ein echter Fortschritt – zumindest auf kürzeren Wegen oder so lange der bekanntlich schwache iPhone Akku mit spielt. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind wir der Ansicht, dass auch diese auf jeden Fall sehr praktische App keineswegs ein Mobilitätstraining etwa mit dem Langstock ersetzt. Im übrigen muss man auch das Interpretieren der Infos, die von der App geliefert werden, lernen. Nicht alles ist gleich klar – beispielsweise wenn eine Weggabelung kommt. Außerdem – und das ist bei all diesen Apps nicht unproblematisch – werden ja oft Kopf- oder Ohrhörer verwendet, was natürlich die Wahrnehmung der Umgebungsgeräusche stört. Hier zeigt sich also ein Zielkonflikt, denn die akustische Wahrnehmung der Umgebung ist für die oben beschriebene Zielgruppe solcher Apps ebenfalls eine unverzichtbare Orientierungshilfe. Ideale Kombination vielleicht: Das Smartphone ohne Hörer zugleich mit dem Sock verwenden. Diese Kombi liefert echten Mehrwert.
Ausgebrütet wurde Camassia…
…von Studierenden der Informatik am Karlsruher Instituts für Technologie . Die Studies hatten ursprünglich jedoch nicht im Traum damit gerechnet, dass ihre neue Navi App einmal für blinde und sehbehinderte Menschen interessant und hilfreich sein könnte. Vielmehr stand anfangs die Verbesserung der Orientierungsfähigkeit von Robotern im Fokus ihres Tuns. Woraus man wieder lernt, dass ursprüngliche Ziele durch neue ersetzt oder erweitert werden können. Es gibt eben immer noch positive Überraschungen – auch im digitalen Zeitalter…
Ach ja, Camssia, dieser kryptische Name…
…der neuen App, stammt keineswegs aus dem nüchternen Reich der Technik, sondern aus dem blumigen der Botanik. Es handelt sich dabei um eine Prärielilie aus der Familie der Agavengewächse. Sie blüht blau, lila oder weiß – allerdings nicht in den eigentlichen Prärien, sondern eher in den Plains von Nordamerika. Warum die technischen Tüftler aus Karlsruhe diese bunte Blume als Namensgeberin für ihre App wählten, ist eine Frage, die an dieser Stelle leider noch nicht beantwortet werden kann.
Camassia – die App, nicht die Blume – gibt’s im App Store, kostet 4,49 Euro, ist knapp 100MB groß und setzt iOS 10 voraus.
Und hier noch ein Video über Camassia
Hallo Peter, Camassia wäre mir schon aus dem Grund sympathisch, weil sie mit „C“ anfängt und weil die Blume so schön lila ist. – Unsympathisch dagegen ist sie mir, weil sie Samsung-Handyleute außen vor lässt. Der Fortschritt der Technik ist zwar enorm, aber nach Pieptönen zu laufen wäre auch nicht mein Traum. Ich glaube, ich hätte lieber einen Hund.
Gut’s Nächtle!
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ich kann deine bedenke bezüglich der akustik gut verstehen. es gibt wohl auch nie eine ideale lösung und keine app ist für alle geeignet. wir sind erfahrungsgemäß auch nicht diejenigen, die mit dieser app ständig unterwegs sein werden. bei uns ist es eher so, dass wir gern was ausprobieren – insbesondere die technik affine vera ist auf diesem gebiet sehr aktiv. bisher haben wir den eindruck, dass solche digitalen helferchen einerseits durchaus brauchbar sind. andererseits erleben wir aber immer auch ihre begrenztheit. so dürfte diese app beispielsweise auf wilden trampelpfaden wenig oder gar nichts bringen. haben wir aber noch nicht getestet. tja, und die sache mit der akustik ist natürlioch eine frage des geschmacks. und weil du den hund erwähnst: es gibt blinde, die mit dreifach kombi unterwegs sind – also hund, stock und navi app. ich selber verlasse mich übrigens noch zum großen teil auf meine sehfähigkeit von etwa 18 prozent (mit brille). ich kenn es nicht besser und daher ist es für mich völlig normal…
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Hallo Herr Bachstein,
herzlichen Dank für Ihren sehr guten und treffenden Erfahrungsbericht. Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, den wir bei Camassia auch immer betonen: es ist ein weiteres Hilfsmittel, wir können weder Hund noch Stock ablösen. Aber wir können zusätzliche Hilfe bieten und arbeiten daran, dass sie immer besser und die zu Recht erwähnte Begrenztheit immer weniger wird.
Zum Thema der Akustik: Hier gibt es die Empfehlung mit Knochenleitungskopfhörern zu arbeiten, damit die Töne von Camassia die Hörfähigkeit nicht komplett blockieren, aber dennoch der Stereoeffekt nutzbar bleibt. Natürlich bleibt das grundsätzliche Konzept, sich nach Tönen zu orientieren, aber auch gibt es Optionen in Camassia wie z.B. „Rauschen“ statt „Töne“ zu verwenden, was angenehmer, aber vielleicht weniger präzise ist. Sehr gerne hören wir von Ihren Erfahrungen und Vorschlägen, was Ihnen weiterhelfen kann.
Letztlich darf ich Ihnen verraten, dass wir Samsung bzw. generell Android Nutzer natürlich nicht dauerhaft aussen vor lassen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Gerd Güldenpfennig
iXpoint GmbH
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danke für die info bezüglich android. entsprechende user haben schon danach gefragt. informieren sie mich doch bitte, wenn es soweit ist…
best
p.b.
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