Während eines winterlichen Aufenthaltes im Bayerischen Wald hatten sich ein paar Leute in einer Hütte versammelt, um bei Blutwurz und Bier mit ihrem zum Entertainer mutierten Skilehrer eine vermeintlich bodenständige Aprais Ski Party zu veranstalten. Der Skilehrer hatte eine uralte Gitarre mit gebracht und spielte was zum Mitsingen. Nach dem dritten Lied gab es wieder eine Runde Blutwurz und während dessen Flammen noch züngelten, erzählte der Skilehrer von Nashville. Die dortigen Countrymusiker würden sich dauernd zum Gitarrenziehen treffen und sowas könnten sie hier doch auch mal machen. Das Prinzip sei auch ganz einfach. Einer müsse anfangen mit dem Spielen und Jeder in der Runde könne ihm die Gitarre weg ziehen, um weiter zu klimpern. Mit diesen Worten nahm er die Gitarre wieder in die Hand und versuchte Country Roads zu spielen.
Ohrwürmer
Weil die meisten der Partygäste aus jener glorreichen Zeit stammten, als jeder zweite mindestens drei Gitarrengriffe auf Lager hatte, sorgten Nashville Story und Eigendynamik schnell für ein fröhliches Kreisen des bald völlig verstimmten Instruemntes. Countrysongs spielte zwar keiner, dafür aber das übliche Ohrwürmerrepertoire der Sechziger- und Siebzigerjahre, also Lady in Black, Blowin‘ in the Wind oder Honky Tonk Woman. Einer versuchte es auch mit House of the Rising Sun, bekam aber die gesanglichen Höhenflüge nicht hin und Born to be Wild auf der Schrammelgitarre klang auch nicht gerade nach Heavy Metal Thunder. Doch etliche Runden Blutwurz sorgten auch ohne gigantische Soundmaschine für Fire in the Sky und als der Wintermorgen in die fünfte Stunde ging, sangen alle zusammen es gibt kein Bier auf Hawaii.
Der Großstadtwanderer hatte zwar alle Blutwurzrunden fleißig und wacker mit getrunken, die Gitarre aber, trotz seiner Picking- und Slidingkenntnisse, an sich vorbei ziehen lassen. Doch die Story vom Gitarrenziehen in Nashville blieb in seinem Gedächtnis. Als er dann mal wieder eine USA Reise unternahm , schaute er auch in dieser Metropole der weltweiten Country Community vorbei.
Nashville Kick
Auf den ersten Blick konnte er Nashville jedoch nicht als Prototyp einer schönen Ecke einstufen. Die berühmte Stadt in Tennessee machte einen betont nüchternen und zweckmäßigen Eindruck und bestand hauptsächlich aus breiten Straßen und großen Parkplätzen. Musiker rannten auch keine rum und alle Fußgänger schienen Rucksack tragende Touristen gleich ihm zu sein. In den Coffee Shops wusste keiner was vom Gitarrenziehen und in die berühmten Studios kam man nicht rein, weil freundlich grinsende Rausschmeißer im Weg standen. Auch der Besuch bei Gibson war ein Flop. Da gab es zwar keine Rausschneißer, doch die nette Frau am Empfang erklärte nach kurzer telefonischer Rückfrage, dass bei Gibson Gitarren nicht gezogen, sondern traditionell produziert würden.
Selbst Angehörige allwissender Berufe wie Taxifahrer und Polizisten konnten dem etwas enttäuschten Großstadtwanderer keine Auskunft übers Gitarrenziehen geben und er kam allmählich zu dem Schluss, dass es sich um ein geheimes Ritual besonders eingeweihter Musiker handeln müsste. Oder war es nur eine Erfindung des Skilehrers im Bayerischen Wald gewesen – quasi als Warming Up, um die anderen Leute zum Mitmachen anzuregen? Hatte er vielleicht befürchtet, ohne den Drive der Nashville Story sein drei Stücke Repertoire plus Country Roads Versuch noch ein paar Stunden weiter spielen müssen? Doch diese Sorge hätte er nicht haben müssen – denn überall, wo ein paar Leute mit einer einzigen Gitarre zusammen hocken, ergibt sich das Gitarrenziehen irgendwann von ganz allein – auch ohne Nashville Kick. Wie neulich in dieser Neuköllner Musikerkneipe.
Aber das ist eine ganz andere Geschichte….
