Wenn wir uns an eine Personen erinnern, geschieht das oft an ihrem Geburtstag. Wenn das entsprechende Datum aber unbekannt ist, werden andere Ereignisse als Fixpunkt der Erinnerung herangezogen. Das kann der Tag der Taufe sein – oder der Todestag. Im Falle des Francois Villon ist es der 5. Januar 1463 – der Tag an dem der Dieb und Dichter in Paris gehenkt werden sollte…
Absolvent der Sorbonne
Wir kennen Francois Villons Geburtstag nicht, nur das Geburtsjahr 1431, in dem Jeanne D’Arc auf dem Scheiterhaufen sterben musste. Seine Eltern waren arme Schlucker, was im Spätmittelalter auf fast alle Franzosen zutraf. Ausgenommen König und Hochadel – die paar Figuren lebten in Saus und Braus. Saus und Braus konnten die Eltern dem kleinen Francois, der damals mit Nachamen noch nicht Villon, sondern möglicherweise Montcorbiers bzw. de Montcorbiers hieß, nicht bieten, Den Namen Villon übernahm er von dem Wissenschaftler und Priester Guillaume Villon, in dessen Obhut ihn seine Mutter aufgrund ihrer Armut gegeben hatte. Dieser schickte ihn im Alter von 12 Jahren auf die damals schon berühmte Sorbonne, wo Francois 1449 den Grad eines Magister Artium erwarb. Also alles nochmal gut gegangen?
Keineswegs, denn auch die meisten Schüler und Studenten gehörten seinerzeit zu den Hungerleidern und waren daher häufig aus purer Not aufs Klauen angewiesen. Selbst ein akademischer Grad reichte oft nicht, um ein einigermaßen gesichertes Leben führen zu können. Armut war die alltägliche Norm – egal ob mit oder ohne akademischer Weihe. So entstand eine breite Schicht Krimineller mit künstlerischer oder wissenschaftlicher Bildung, zu denen auch der sprachgewandte Francois Villon gehörte.
Dieb und Dichter der Diebe
Dieser gelehrte Mann mit dem Magister der Sorbonne fristete seinen Lebensunterhalt als Dieb und wurde gleichzeitig zum Dichter der Diebe. Er benutzte für seine Lyrik zwar den drastischen Jargon der Gauner und Vaganten – goss ihn jedoch in bestens geschliffene Verse. Dafür verwendete er die damals allgemein gebräuchlichen literarischen Formen des Testaments und des Vermächtnisses. Darin schilderte er krass und schonungslos den Alltag der Menschen auf den Märkten und in den verwinkelten Gassen sowie in den Spelunken und Bordellen. Er beschrieb das karge Leben der Marktfrauen, Gauner und Nutten – und auch sein eigenes. Er sparte auch keineswegs mit ironischen und satirischen Formulierungen und servierte dem Publikum immer wieder seine ganz besondere Liebeslyrik im Jargon der Straße.
Mit seiner Dichtung kam Villon nicht nur bei den Vaganten, Nutten und Bewohnern der Elendsviertel sehr gut an, sondern sogar bei den Fürsten. Er wurde zum bedeutendsten Lyriker des französischen Spätmittelalters – und konnte trotzdem von seiner Dichtkunst nicht leben. So landete er als Dieb immer wieder im Kerker und schließlich sogar in der Todeszelle. Am 5. Januar 1463 sollte er hingerichtet werden. Offenbar hatte er aber nochmal Glück, denn es gibt keine Notiz um den Vollzug der Hinrichtung. Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass die Todesstrafe in eine Verbannung aus Paris und Umgebung umgewandelt wurde. Was tatsächlich passiert ist an diesem Tag, bleibt unklar. Denn danach verliert sich die Spur des Dichters, der als Erster das Leben der Menschen der untersten Schichten mit deren Sprache in Balladenform beschrieb, im Dunkel der Geschichte.
Villon lebt – sogar in alltäglichen Redewendungen
Inspiriert aber hat Villon Dichter, Liedermacher und Bänkelsänger bis in die heutige Zeit. Sie tragen nicht nur seine Verse vor, sondern dichten in seinem Stil. So stammt das berühmte Gedicht, dass mit der Zeile „ich bin wild nach deinem Erdbeermund“ beginnt, keineswegs von Villon, sondern von dem expressionistischen Dichter Paul Zech. Doch es klingt eindeutig nach dem Vorbild. Auch Bert Brechts Texte für die Dreigroschenoper sind voll nach dem Muster von Villons Gaunerlyrik gestrickt. Klaus Kinski erinnerte mit seinen Bühnenprogrammen ebenfalls an den Franzosen, verwandte dafür aber die Zech Balladen. Reinhard May sang in frühen Jahren echte Villon Texte und Franz Josef Degenhardt sang sogar von „meinem berühmten Zechkumpan, Dieb und Dichter Francois Villon“. Im übrigen lebt mittelalterliche Vagant aus Paris sogar in unseren alltäglichen Redewendungen weiter. „Schnee von gestern“ und „Vom Winde verweht“ sind Formulierungen, die zum ersten Mal im Werk von Francois Villon auftauchen.