Gelegentlich werde ich gefragt, warum ich vor ewig langer Zeit ausgerechnet in die schreibende Zunft eingestiegen war – vor allem mit Sehbehinderung. Nun, Feinmechaniker wäre damit noch schwieriger gewesen und als Zahnarzt hätte ich rein sehtechnisch bestimmt immer die falschen Zähne erwischt. Außerdem war ich schon in der Buddelkiste ein Geschichtenerzähler und mit acht Jahren sah ich mein erstes Buch bereits auf den Tischen der entsprechenden Läden liegen. Dauerte dann aber doch noch ein paar Jahre, bis dieses Ereignis eintrat…
Wie ich dazu kam und warum ich dabei blieb
Bei der Frage nach dem Traumberuf sagen Jungs im Grundschulalter meistens Fußballprofi oder „irgendwas mit Computern“. Mein elfjähriger Enkel könnte sich auch gut vorstellen, Feuerwehrmann oder LKW Fahrer zu werden. Journalist zu sein wie ich kann er sich hingegen überhaupt nicht vorstellen oder nur „wenn’s gar nichts anderes gibt“. Und er hat mich auch schon gefragt, warum mir nichts besseres eingefallen ist. Doch was soll es denn besseres geben?
Schuld waren die Mädchen
Auch damals, Mitte der fünfziger Jahre, geisterten durch die Berufsträume der Jungs nicht gerade Musiker, Schreiberlinge oder ähnliche brotlose Existenzformen. Anständige Jungs wollten Lokomotivführer werden oder auch Polizist. Ich aber fing an Gitarre zu spielen und Gedichte zu schreiben um später mal Goethe oder Beethoven zu werden – am besten beides zugleich.
Obwohl die anderen Jungs das ziemlich bekloppt fanden, blieb ich dabei, denn den Mädchen schien es richtig zu gefallen. Das war mir im Alter von acht Jahren doch schon verdammt viel wert. Die Mädchen sind also gewissermaßen schuld daran, dass ich nichts anständiges gelernt habe und ich werde ihnen dafür auf ewig dankbar sein.
Leserbrief in der Bild Zeitung
Allerdings wurde es auch nichts mit der großartigen Karriere eines musizierenden Dichters. Stattdessen landete der Junge, der sich zu Erhabenem berufen fühlte, allmählich auf der etwas holprigen Piste des Zeitungsschreibers. Den Start in diese vielversprechende Laufbahn wollte ich übrigens in der beschaulichen Provinzmetropole Hannover hinlegen und stiefelte im gesetzten Alter von fünfzehn Jahren siegesgewiss in eine dortige Redaktion. Den anwesenden Redakteuren teilte ich mit, dass ich unter dem Pseudonym „August“ über Mord und Totschlag schreiben wolle, um mit den Machtmitteln der Presse dem internationalen Verbrechen den Garaus zu machen.
Unbegreiflicherweise brachen diese Helden der spitzen Feder in ein kollektives Gelächter aus, ließen mir von einer grinsenden Sekretärin eine Packung Kekse überreichen und gaben mir den Tipp, es als Erwachsener vielleicht noch mal zu versuchen. Aber bitteschön nicht unter dem Pseudonym „August“, das erinnere an Gartenlaube und Kaiserpostille.
Aus Ärger über diese erste grandiose Niederlage fing ich an zu schreiben, was meine olle eiserne Adler verkraften konnte. Ich schickte meine kolossalen Werke an alle möglichen Zeitungen und hörte nie wieder was davon. Ich gründete eine eigene Schülerzeitung, die es nur bis zur Nullnummer brachte, weil die anderen Redakteure danach keine Lust mehr hatten. Manchmal veröffentlichte die Blättchen der evangelischen Jugend oder der Naturfreunde was von mir und schließlich brachte ich es sogar zu einem Leserbrief in der Bild Zeitung – meine Güte war ich gut! Aber ausgerechnet dieses Revolverblatt – na ja…
Straßenreporter in West Berlin
Dann kamen die späten sechziger Jahre und für einen begeisterten Schreiber brachen ganz gute Zeiten an – vor allem im damaligen West Berlin, wo ich nach dem Intermezzo in Hannover und einer längeren Tramp Tour wieder gelandet war. Da gab es noch jede Menge Tageszeitungen, die heute kein Mensch mehr kennt, einen regelrechten Blätterwald. Dazu die zahllosen kleinen Klitschen der Kultur- und Politszene. Bei letzteren bekam man zwar selten ein Honorar, aber immer ein Abendbrot und ein Bier, womit einer wie ich damals auch einen Teil seiner Ernährung sicherstellen konnte. Also schreiben um zu essen – doch das war kein Problem, denn es waren geschichtsträchtige Zeiten und die Themen gingen niemals aus.
Aus dem Jungen, der von einer Goethe-Existenz geträumt hatte, war ein Straßenreporter geworden auf den Spuren von Egon Erwin Kisch. So hätte es weiter gehen können, ein Leben lang. Doch dann starben viele der Zeitungen einen schnellen Tod und mir wurde plötzlich bewusst, dass ich weder eine Ausbildung, noch ein Volontariat und noch nicht mal ein Abitur hatte. Nicht so schlimm, dachte ich, Illja Ehrenburg war ja auch ein Schulabbrecher. Doch gute Freunde schubsten mich auf den Pfad des Lernens ausgerechnet im Jahr der Ölkrise, das für Freelancer wie mich wieder jede Menge Aufträge brachte.
Schreiben als Existenzform
Die guten Freunde ließen aber nicht locke. Also machte ich mein Abi, studierte Geschichte und VWL und dachte daran, mich im sicheren Hafen der Wissenschaft zu verkriechen. Klappte aber nicht, denn die Schreiberei war offenbar mehr als nur Broterwerb, war längst meine Existenzform, meine Identität, fast mein Traumberuf geworden. Das einschränkende „fast“ vor dem Traumberuf bezieht sich übrigens nicht auf die Tätigkeit, sondern auf die weniger traumhaften Honorare. Da ich aber immer Freelancer war – und das mit voller Überzeugung – hatte ich den Traum vom Reichtum ohnehin längst auf dem Schuttabladeplatz der Zeit versenkt. Obwohl es auch annehmbare Honorare gab – z. B. Anfang der Neunziger, als ich ab und zu auch für Capital schrieb, aber hauptsächlich für den Berliner Gartenfreund.
Das war schon ein seltsamer Break, denn ich hatte zuvor gut zehn Jahre lang vor allem für linke Blätter geschrieben. Die aber hatten die Wende leider nicht überlebt. Nur die taz war geblieben – doch da konnten nicht alle linken Reporter andocken. Aber ausgerechnet unterkriechen bei Capital mit Themen wie „Bauen ohne Boden“ oder „Kapitalaufbau mit Aktienfonds“? Einige Kollegen fanden das schon sehr gewagt wenn nicht gar anrüchig. Den Berliner Gartenfreund akzeptierten sie jedoch – quasi als rettende Spielwiese. Waren aber beides nur Gastspiele und es sollten weitere folgen. Etwa als Verfasser von Reiseartikeln für die Märkische Oderzeitung oder von Reportagen für das Handwerksmagazin – beispielsweise über den Rüdersdorfer Kalksteintagebau bei Berlin. Als kleines aber feines Schmankerl gabs dann für einige Jahre noch das „Netzwerken“ Magazin eines Berliner Unternehmervereins, für das ich den Großstadtwanderer und die geheimnisvolle Besucherin erfand. Sie lieferte dafür übrigens die Fotos und ist gemeinsam mit mir nun Teil des Redaktionsteams von Retina Aktuell.
Kein normaler Job
Und nun? Nee, nix mit Aufhören, keinen Bock auf Ruhestand und Rente, die ohnehin zu knapp ist. Geht auch nicht in diesem Beruf. Journalist zu sein ist kein normaler Job, dessen Ende du herbei sehnst, das ist geradezu eine ganz besondere Lebensform, die Pole Position der Evolution. Diesem Beruf bleibst du treu bis ans Ende deiner Tage. Dieser Beruf hält dich jung und fit, wie sogar neunzigjährige Heroen unserer glorreichen Zunft beweisen.
Solange du schreibst, lebst du. Legst du den Griffel aus der Hand, kommt der Sensenmann. Der aber kann ewig auf mich warten, denn es gibt so viele Themen, zu denen ich noch gern meinen Senf beisteuern möchte. Und wer von uns träumt nicht auch davon, mal ein richtiges Buch zu schreiben, nicht nur diese auf hundert Seiten verlängerten Artikel, die dann den Zeitungsschreiber angeblich zum Buchautor machen. Solche sind aus meiner Feder auch schon geflossen und beispielsweise im Erfurter Sutton Verlag erschienen – auch über den oben erwähnten Rüdersdorfer Tagebau oder Berlin Marzahn. Nicht zu vergessen die beiden Bücher über Traktoren und LKW bei vivo. Diese aber können natürlich nicht die Erfüllung jener Dichterträume sein, die mich vor sechzig Jahren auf den Pfad des Schreibens brachten.
Ach ja; der eingangs erwähnte Enkel will zwar immer noch Feuerwehrmann oder LKW Fahrer werden. Andererseits findet er es spannend, das Opa Bücher schreibt. Die hat er während des Deutschunterrichts in der Schule auch bereits vorgestellt. Brachte im Top Zensuren ein. Schon erstaunlich, wozu das Schreiben von Büchern führen kann…
Wieviele Leute im Kulturbereich (und im weitesten Sinn zähle ich den Journalismus dazu) den Beruf wegen der Mädchen ergriffen haben, die kan man gar nicht zählen.;-) Gut, daß Du Dich nicht hast verbiegen lassen. Eine Karriere bei der Blöd-Zeitung, diese Strafe wünscht man ja nicht seinen ärgsten Feinden. Wenn Dein Enkel mal soweit ist, daß er sich ernsthaft für das Leben seines Großvaters interessiert, wird er stolz auf Dich sein. Und das ist viel wertvoller als jede Karriere.
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nun, beinahe wäre sogar einer der söhne in vaters berufliche fußstapfen. einige jahre war er als jungreporter für den bautzener lokalteil der sächsischen zeitung unterwegs. später hat er sich dann doch dafür entschieden, einer der götter des internets zu werden – höchst erfolgreich übrigens. ab und zu schreiben wir aber auch mal was zusammen oder drehen ein kurzes video.
dass ich nicht bereit war, für die revolverblätter zu arbeiten, finde ich heute noch gut. ich hab aber auch angebotene referentenstellen politischer parteien nicht angenommen. was mich aber aktuell ein bisschen ärgert ist, dass mir manche aufträge im reise- bzw. aktivbereich nicht mehr erteilt werden. die denken, ich sei zu alt für draußen und müsse prinzipiell am schreibtisch hocken. dabei bin ich auf marathonstrecken unterwegs oder auch im gebirge. daher reduziert sich die reise schreibe auf unser retina aktuell magazin.mal schauen, was in post corona zeiten so laufen wird…
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Die Erfahrung habe ich – für mich sehr überraschend – inzwischen auch gemacht: Aufgrund meines Alters, knapp über 60, traut man mir gewisse Dinge nicht mehr zu. Verrückt.
Ist vielleicht ganz gut, daß Dein Sohn einen anderen Weg eingeschlagen hat, Journalismus ist ja inzwischen ein Haifischbecken. Und wenn du nicht zu den Großen gehörst, ist die Bezahlung dermaßen schlecht, daß es wirklich viel Idealismus braucht, sein Engagement aufrecht zu halten.
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was die kohle betrifft,hast du völlig recht. die honorare waren für freelancer wie mich nie märchenhaft – inzwischen aber sind sie aber beinahe grauenvoll. leider sind zu wenige kollegen in der gewerkschaft um von dieser seite etwas druck für höhere honorare aufbauen zu können. allerdings lebe ich fürs schreiben und auf einer zweiten schiene fürs musik machen. noch so eine brotlose kunst. aber macht spaß…
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Spannend und achtungswert, dass du durchgehalten hast und auch jetzt weiter viel Freude daran hast. Ich wünsche dir noch viele eigene Berichte. LG
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danke für deine wünsche – werde mit sicherheit weiter machen
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Peter, wäre ich nicht in der DDR sozialisiert worden mit der falschen politischen Einstellung, wären wir vielleicht Kollegen geworden, denn ich wäre auch liebend gern Journalistin geworden. Doch mit einem Rausschmiss in der 10.Klasse aus der FDJ und einem Polizeipräsidentenbruder in Westdeutschland hatte ich dafür die schlechtesten Karten und Studienaussichten. Und nur für das Käseblatt am Ort waren meine Wünsche zu hoch. – Vielleicht habe ich deswegen zu bloggen angefangen.
Liebe Grüße zu dir
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das mit dem bloggen passt doch. ist für mich auch irgendwie teil meiner schreibenden arbeit. vieles verzahnbt sich da. so erscheinen manche themen, die wir für die retina aktuell bearbeiten, in abgewandelter form auch hier auf dem blog.
aber deine familiäre konstellation, die du da beschreibst, find ich unter den damaligen gesichtspunkten schon herausfordernd. kann mir lebhaft vorstellen, wie die beflissenen oberlehrer darauf reagierten. das war nicht nur typisch ddr, sondern typisch deutsche tradition.
schönen abend dir noch
p.
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Mein Zahnarzt ist Zahnarzt in der dritten Generation Chapeau! Der gezogene Hut gilt auch für Dich. – Ich selbst wollte in Kindheit und Jugend so Verschiedenes werden (nicht gleichzeitig, nach einander), dass es kein Wunder ist, was dabei herausgekommen ist: eine Generalistin mit solider Halb-und-halb-Bildung aber ohne besondere Talente.
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ich denke, dass ich auch kein besonderes talent hatte. eher war in meiner kindheit das umfeld günstig. aber keineswegs aus dem bildungsbürgertum, sondern aus einer arbeiterfamilie. doch es wurde viel gelesen, denn einen fernseher gab es bei uns in den fünfziger und frühen sechzigerjahren noch nicht. des weiteren schrieben meine eltern ein bischen für gewerkschaftliche zeitungenn und spielten auch musikinstrumente. und dann gab es ein paar drucker und schriftsetzer in unserer weitläufigen familie. die hatten was mit dem zeitungmachen und dem buchdruck zu tun – und mein interesse ward geweckt. geschichten erzählen war ohnehin mein ding – also warum nicht aufschreiben.
brachte mir in der schule übrigens gute zensuren in deutsch ein – und von anderen schülern den wunsch, ihnen ab und zu mal einen hausaufsatz zu schreiben. honorart schokolade oder kuchen. auch nicht schlecht…
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Ein Bauerngarten (der Vergleich ist keineswegs abwertend gemeint – im Gegenteil) ist fast immer fruchtbarer als ein Schlosspark.
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guter vergleich – gefällt mir.
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Hallo Blogger 🙂
schön, dass du mal deinen Werdegang erzählst. Ich wollte immer gerne in einem Verlag arbeiten, bin aber über mein abgebrochenes Germanistik/Anglistik/Geschichte Studium nicht reingekommen. Macht aber nix, wie das Leben eben so weitergeht …
Bloggen ist somit für mich bissi mehr als ein Hobby
Liebe Grüße auch an die geheimnisvolle Vera
❤
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so wie ich in den beruf hinein gekommen bin, würde das heute auch nicht mehr gehen. heutemusst du ein abgeschlossenes studium haben ehe du überhaupt ein volontariat durchziehen kannst. damals konntest du sogar ohne abi hineinrutschen. ich kannte etliche drucker und schriftsetzer, die allmählich in den journalistischen beruf wechselten.
danke übrigens für die grüße an meine kleene vera…
und liebe grüße von uns an dich
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