Seit Ewigkeiten versuche ich einen Roman über meine unglaublichen Abenteuer zu schreiben. Doch auf der Suche nach dessen Anfang lande ich immer wieder beim Urknall. Er allein ist schließlich schuld daran, dass es mich und diesen beknackten Plan überhaupt gibt sowie meine Unfähigkeit, ihn zielstrebig in ein Buch mit Weltbestseller-Status zu verwandeln. Um mit dem ersten kosmischen Startschuss zu beginnen, bräuchte ich allerdings mehr Zeit, als seit jenem Ereignis vergangen ist. Sie wird ohnehin langsam knapp, was nicht an meinem Lebensalter liegt, sondern an dem voll gepfropften Terminkalender. Momentan muss ich zum Beispiel beim Retten der Welt helfen, einen neuen Lästersong über Weihnachten ausbrüten und die Quelle der Spree suchen, die kaum ein Berliner kennt. Außerdem will die Kleene von nebenan mal wieder massiert werden und der Gerichtsvollzieher hat sich auch für heute angekündigt. Ein guter Freund von mir, der öfter mal vorbeischaut…
Wie soll ich da einen epochalen Roman mit dem einzig plausiblen Anfang schreiben? Ohne Urknall gebe es nicht mal diesen blöden Computer, der sich gerade wieder aufhängen will, was ich am besten auch machen sollte, wenn mir nicht gleich einfällt, wie ich diese verdammte Story ohne Erwähnung des ältesten Ereignisses mitreißend anfangen soll.
Vielleicht mit dem allerjüngsten Ereignis. Das passierte mir gerade eben, als ich beim Italiener am Kottbusser Damm aufs Klo wollte. Hatte dabei aber die falsche Tür erwischt und war in die bodenlose Tiefe des Weinkellers gefallen. Nun gut, ganz ohne Boden war die Tiefe nicht, denn ich knallte auf denselben um mir ein paar Beulen und farbige Flecke einzufangen. Als ich dort unten sitzend eine Flasche entkorkte um mir ein paar lindernde Schlucke zu genehmigen, wurde mir wieder mal bewusst, was für ein großartiges Leben ich doch führte in dem ein Abenteuer das nächste jagte.
Beispielsweise hatte ich kurz zuvor ein spektakuläres Rendezvous mit einer Radfahrerin, die auf dem Gehsteig unterwegs war und mich umfahren wollte. Ich sagte trotzdem, tschuldigung, tut mir leid, ick seh ’n bischen schlecht. Dann bleib doch zu Hause du blinder Affe, antwortete sie und langte mir’n paar. Meine Brille flog weg, die irgendeiner auffing, ich musste lachen und machte mir ernsthaft Gedanken über den klugen Rat der längst verschwundenen Radfahrerin. Vielleicht hätte ich diesen ja auch als Perspektive für den Rest meines Lebens in Erwägung gezogen, wenn da nicht die Oma mit dem Hund gewesen wäre…
Die beiden waren durch eine lange Leine quer über den ganzen Gehsteig miteinander verbunden. Und schickten sich offensichtlich an, das restliche Publikum beiseite zu mähen. Ich sah mit meiner stets nebelverhangenen Linse nur schemenhaft die heftigen Bewegungen der vielen Flaneure, wusste aber nicht warum und erwischte natürlich passgenau die lange Leine, sodass ich im Liegestütz auf dem Pflaster landete. Hund und Oma hob es von den Stelzen. Der Hund knurrte. Die Oma auch.
Sportlich wie ich bin sprang ich sofort wieder auf die Beine und schleifte dabei Hund und Oma ein Stückchen über den Gehsteig. Durch das unsinnige Gezappel der Beiden verlor ich das Gleichgewicht und fiel einem dicken Mann in die Arme. Der fiel auch und zwar um und landete direkt auf dem Hund. Der schaffte es noch, den Dicken in den Hintern zu beißen bevor er unter dessen Gewicht ohnmächtig wurde. Die Oma schaffte es endlich auf die Beine zu kommen und stürzte sich auf den Dicken, um den von ihrem Hund zu zerren. Keine Ahnung, ob sie es geschafft hat, denn ich konnte mich endlich von der blöden Hundeleine befreien um in Antonios Pizzakneipe Asyl zu suchen.
Tja, und dort bin ich eben in den Weinkeller gefallen und wäre das nicht passiert, hätte ich nicht leicht angerauscht den großartigen Einfall gehabt, diesen Roman zu schreiben – über meinen ständigen Blindflug ins Abenteuer….
Na gut, richtig blind bin ich ja eigentlich nicht, nur ein bisschen. Aber es reicht, um Bäume umzurennen – oder auch Leute. Manche Leute wissen das und gehen mir aus dem Weg. Andere müssen das noch lernen. Rennen ist übrigens wörtlich gemeint, denn langsames Gehen liegt mir nicht. Als notorischer Schnellläufer liebe ich die Geschwindigkeit und wenn ich mal eine Treppe runter falle, erwisch ich wenigstens noch die U Bahn ehe sie abhaut.
In Berlin ist das nicht weiter auffällig. Hier sausen auch Vollsehende kopfüber in diverse Tiefen um sich mal ordentlich alles zu brechen, was dafür geeignet ist. Meine Knochen haben bisher solche Erfahrungen noch nicht machen dürfen und ich gehe davon aus, dass ihnen so etwas auch in Zukunft nicht widerfahren wird. Ich stürze einfach drauflos, mach eine Rolle und laufe ungerührt weiter. Ich stell mir dann immer die dämlichen Gesichter meiner Mitmenschen vor und bin ganz froh, dass ich sie nicht richtig sehen kann, weil ich mich dann noch mehr totlachen müsste.
Totlachen muss ich mich auch immer, wenn mir im Hinblick auf meine schwache Linse die Nutzung eines Rollstuhls empfohlen wird. Offenbar denken viele Leute, dass Blinde nicht laufen können. Einmal passierte das in einem First-Class-Hotel am schönen Ostseestrand. Da stand so ein Teil schon für mich bereit, nachdem ich vom Bahnhof aus einen fünf Kilometer langen Marsch hingelegt und damit meine Lauffähigkeit unter Beweis gestellt hatte. Half alles nichts denn der übermotivierte Hotelmanager bestand darauf, dass ich mit dem hypermodernen Elektrovehikel für die Dauer meines Aufenthaltes die endlosen Gänge des feinen Etablissements befahren sollte. Um den armen Mann nicht zu enttäuschen setzte ich mit sofort in die Kiste und drückte spontan den Startknopf. Einen kurzen Moment später krachte das Ding gegen die völlig kontrastlose Wand und wenn ich nicht geistesgegenwärtig kurz zuvor abgesprungen wäre, hätte ich hinterher tatsächlich einen Rollstuhl gebraucht. Zumindest konnte ich dem untrainierten Hotelboss jetzt aber beweisen, dass ich zwar ein bisschen blind, aber auch ein rasanter Läufer bin.
Die Absprungtechnik durfte ich übrigens schon in meiner Studentenzeit üben. Damals hatte ich bei einem Altpapierfritzen angeheuert und meine nicht ganz vollständige Sehunfähigkeit natürlich verschwiegen. Ging auch eine ganze Weile gut bis der Kerl mich in die Geheimnisse des Gabelstaplerfahrens einweihen wollte. Nun hatte ich seinerzeit bereits die Angewohnheit, meine Mitmenschen nicht enttäuschen zu wollen und stieg daher auf den harten Sessel der monströsen Maschine. Wie ich das Teil nach wenigen mir unverständlichen Anweisungen in Gang bekommen hatte weiß ich nicht – und ich weiß ebenso wenig, wie ich noch rechtzeitig da runter gekommen bin, ehe das Teil den alten Schuppen niedermähte, der da irgendwo im Weg stand. Meine unnachahmlichen Schnellläuferfähigkeiten zeigten sich übrigens damals schon, denn der Kerl war nicht in der Lage, mich zu erwischen. Sonst hätte der mich womöglich genau so klein gehauen wie der Gabelstapler den Schuppen. Ich fand es übrigens damals schon bedenklich, dass Menschen mit visueller Spitzenkompetenz nicht fähig sind, einen fast Blinden am Kragen zu packen wenn der abhauen will. Sind eben keine echten Sportler diese Sehenden…
Verdammt, es klingelt. Ständig wird man gestört wenn man einen Abenteuerroman schreiben will. Das muss der Gerichtsvollzieher sein. Nee, es ist die Kleene. Okay liebe Leute, schreib ich den Roman halt nächstes Mal. Vielleicht. Aber eins kann ich euch sagen: Wer fast blind ist, muss das Abenteuer lieben wenn er nicht vorhat, die Bürstenbinderlaufbahn einzuschlagen…
Ach schön aber auch. Tolle Geschichte. Und unbedingt fortsetzen – bin schon neugierig, wie es weitergeht.
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ich werde mein bestes geben, um jenes endlose sammelsurium an erlebnissen und reflektionen, das mir der urknall hinterlassen hat, in ein überschaubares gefüge zu gießen, das mit viel nachsicht eventuell als roman durchgehen kann. doch wahrscheinlich bleibt es trotzdem jenes chaos, das wir als existenz bezeichnen. da wird es dann ganz schön schwierig herauszufinden, wo der mögliche roman so was ähnliches wie ein ende hat…
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Also du bist auf jeden Fall ein super Kurzgeschichtenerzähler. Was dir so alles passiert? Ist ja unglaublich!! Schrecklich diese ungehobelten und rücksichtslosen Radfahrer*Innen. In Berlin sind die besonders unverschämt. Ich bin nicht blind, wurde aber trotzdem fast über den Haufen gefahren an einer Ampel, weil ich mich auf die Radfahrerspur wagte.
Du schreibst ganz toll Peter, mach mal weiter so. Muss ja kein Roman werden….. 😉
Herzliche Grüße
Sigrid
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danke schön sigrid, freut mich, dass dir die story gefällt. ich denke schon, dass diese episodensammlung weiter geht – und wer weiß, was am ende daraus wird.
beste grüße von peter
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