Das ist schon ein Spitzenerlebnis für Eisenbahnnostalgiker und romantisch angehauchte Wanderfreunde: Im Zittauer Gebirge erst mit dem Schmalspurexpress durch Dörfer und Wälder wackeln und dann zum Gipfel des Oybin mit seinen Burg- und Klosterruinen wandern. Der Großstadtwanderer hats ausprobiert und dabei mal wieder die Pferde der Fantasie ein bisschen durchgehen lassen…
Old-School Schmalspurbahn fast im Modellformat
Ein geplatzter Termin führt zu einem unerwarteten Zeitfenster und den Großstadtwanderer, der auf dem Bahnhof von Görlitz gestrandet ist, spontan in den Zug nach Zittau. Dort steht er schon bereit dieser Old-School-Train auf lediglich 750 mm Gleis – also nicht ganz so schmal wie bei einer Modelleisenbahn. Gezogen wird er von einer Diesellok, was den Großstadtwanderer ein ganz klein wenig enttäuscht denn er hat ein echtes Dampfross erwartet…
Macht aber nichts – ein Hingucker ist die Zittauer Schmalspurbahn allemal. Ehrfurchtsvoll und aktiv – also mit Anfassen und Streicheln – wird sie bewundert und zwar nicht nur von ausgesprochenen Eisenbahnnostalgikern, sondern ebenso von Reisenden, die den Zug lediglich als Verkehrsmittel betrachten, mit dem sie nach Jonsdorf oder zum heiligen Berg namens Oybin zockeln wollen. Doch auch diese können sich dem Zauber des original alten Vehikels nicht entziehen, mit dem sie langsam und gemütlich durch die unendlichen Weiten des Zittauer Gebirges gewackelt werden. Macht irre Spaß in diesen Waggons von Gestern sitzend die Landschaft in Slow Motion vorbei gleiten zu lassen…
Endlich unter Dampf
Auch der Großstadtwanderer gehört zu jenen Reisenden, die zum Oybin wollen und daher in Bertsdorf umsteigen müssen. Nun geht’s endlich unter Dampf weiter und zwar in einem Waggon mit hölzernem Dritte-Klasse-Ambiente.
Hier heißt das WC noch Abort und funktioniert auch noch wie früher – nämlich durch Entsorgung direkt auf die Gleise. War einst immer ein großer Spaß für die Laubenpieper am Rand des Schienenstrangs…
Angekommen auf dem Bahnhof von Oybin werden die Reisenden bereits vom gleichnamigen Berg begrüßt, der wie ein Bienenkorb aussieht und als Sandsteinmonolith 514 Meter hoch in den Himmel ragt.Oder sinds 515 Meter?
Aufstieg ohne Navi App
Für den Aufstieg gibt’s jede Menge Wege – einer führt beispielsweise links herum durchs Dorf. Der Großstadtwanderer wendet sich jedoch nach rechts, schlendert ein paar Minuten am Waldesrand entlang bis er einem links abzweigenden Pfad einfach mal folgt ohne sich dabei groß zu überlegen, wo er landen könnte. Auf alle Fälle geht’s bergauf und das kann ja nicht so falsch sein. Darf er natürlich keinem erzählen, dass er wieder mal weder Karte noch Kompass dabei hat und auch keineswegs daran denkt, Smartphone und Navi App um Hilfe zu bitten…
Am Tümpel der Nymphen
Jedenfalls ist es ein wunderschöner kleiner Aufstieg über einen etwas holprigen Waldpfad, der zunächst an einem Bächlein entlang geht und dann einen verwunschen wirkenden Tümpel erreicht. Der wirkt so still, so tiefgründig, so freundlich und regt damit die bisweilen zum blühen neigende Fantasie des Großstadtwanderers an, der sofort an Tümpelnymphen und Wassergöttinnen denkt. Schade nur, dass sie sich im Moment offenbar nicht zeigen wollen – er würde gerade ganz gerne mit ihnen ein kleines Schwätzchen halten…
Statt netter Plauderfrauen aus dem Reich der Mythen kommen aber gerade ein paar Tausend Stechmücken angeschwirrt um dem Großstadtwanderer die letzten Blutstropfen aus den Adern zu schlürfen. Er ist zwar ein freigiebiger Mensch, doch sein Blut möchte er lieber behalten. Daher reißt er sich vom Anblick des Nymphentümpels los, steigt weiter bergauf und steht bald vor einem geheimnisvollen Felsentor…
Im Bann der Zauberpforte
Auch ein echter Fantasieanreger für einen, der noch immer ein Fable für Märchen und Sagen hat. So zögert der Großstadtwanderer einige Augenblicke ehe er durch diese Zauberpforte tritt. Er überlegt gar, ob er vorher noch mal telefonieren soll denn möglicherweise wartet auf der anderen Seite das Land der singenden klingenden Bäume, wo es selbstverständlich keinen Handyempfang mehr gibt…
Leider ist dann drüben trotz des dichten Waldes kein einziger Baum zum Singen bereit und das Handy klingelt auch weil ausgerechnet jetzt ein Call Center Agent Versicherungsverträge verhökern will. Außerdem steht am Wegesrand so ein komischer Steinaugust mit Schwert in den Händen herum, den der Großstadtwanderer glatt übersieht und beim Anrempeln beinahe vom Sockel fegt. Nimmt der Kerl aber nicht weiter übel und so kanns zügig bergauf gehen auf einen Weg, der zum Stolpern einlädt und am Ende über eine mäandernde Treppe direkt vors Burgtor führt.
King Kalle und die Raubritter
Eine imposante Ruine, Überbleibsel jener Anlage, die ein böhmischer König namens Karl der Vierte sich hier in luftiger Höhe als Altersruhesitz errichten ließ um anschließend ein Kloster zu stiften. King Kalle und die Cölestiner Mönche waren aber keineswegs die ersten Siedler auf dem Sandsteinplateau, dessen exponierte Lage wahrscheinlich schon Menschen der Steinzeit zum sesshaft werden animiert hatte. Auch die erste Burg hier oben war keineswegs das Werk königlicher Kaiser, sondern von Briganten. Gemeint sind damit jedoch nicht die gleichnamigen keltischen Stämme der Antike, sondern freie Kämpfer des Mittelalters, die als Sozialrebellen oder Raubritter sowohl verehrt wie verfolgt und vernichtet wurden. Eine solche Anlage liefert natürlich immer jede Menge Sagen und Geschichten wie z. B. diese hier…
Jungfernsprung
Eine holde Jungfer zart ward verfolgt von einem lüsternen Mönch. In ihrer Verzweiflung sprang sie über die Kante des Oybin hinab in den Abgrund. Getragen von den guten Geistern des Berges, den Engeln Gottes oder ihrem steifen weiten Reifrock landete sie unverletzt am Fuße des Berges. Der Mönch jedoch wurde vom Teufel geholt. Die Felsspalte am Südplateau aber, durch die das züchtige Mädchen hinab sprang, wird seither Jungfernsprung genannt und heute von einer Brücke überspannt.
Zum Glück kein Ritter
Jeder erklommene Gipfel birgt das Dilemma des Abstiegs, der in diesem Falle durch die Ritterschlucht führt. Das ist kein Grand Canyon und Ritter im großen Blechkostüm plus Gaul liefen bestimmt Gefahr, hier drin stecken zu bleiben, falls sie jemals diesen Schlund benutzt haben sollten. Bestimmt sind die Gäule vorher ausgerissen und die Metallmänner lagen hilflos am Boden bis sie endlich von einer Horde Knappen aus der Folie gepellt wurden. So ein Unglück könnte dem Großstadtwanderer nie passieren denn er liebt lockere Kleidung die er auch ohne helfende Knappen an- und ausziehen kann.
Bergkirche mit Schusterorgel
Am Pfad nach unten wartet nun noch die Oybiner Berkkirch von 1732. Die damaligen Erbauer hatten zwei großartige Ideen: Zum einen nutzten sie den Felsen des Oybin als rückwärtige Wand des Gotteshauses und zum anderen ordneten sie, der natürlichen Linie des Abhanges folgend, die Sitzreihen stufenförmig wie in einem Theater an. Außerdem ist die Orgel vom Schuster, wie die freundliche Wächterin der Bergkirche erzählt.
Da ist der Großstadtwanderer erst mal etwas irritiert, denn er kann sich nicht vorstellen, dass ein Stiefelmacher auch in der Lage ist, Orgelpfeifen zu ziehen. Die Wächterin bemerkt natürlich seinen fragenden Blick und erklärt, dass die Firma Schuster aus Zittau seit 1869 zahlreiche Orgeln für verschiedene Gemeinden in der Oberlausitz gebaut hat.
Bierchen vom Engel
Am Ende der kleinen Tour über den Oybin entschließt sich der Großstadtwanderer noch zu einer kleinen Einkehr im Café Engel am Bahnhof. Hier gibt’s neben Waffeln und Windbeuteln auch Bier aus der Brauerei des Klosters St.Marienthal und ein solches in der hellen Variante steht ganz oben auf der Wunschliste des Großstadtwanderers. Gibt’s nicht überall, sondern nur in der Oberlausitz und regt prinzipiell zum Weitertrinken an. Leider bleibt dafür keine Zeit denn der letzte Zug der Zittauer Schmalspurbahn steht bereits unter Dampf…
Eindrücke sammeln
Übrigens müssen solche Oybin Touren nicht lange dauern und wenn der Großstadtwanderer nicht überall stehen bleiben würde um seinen Fantasien freien Lauf zu lassen, hätte er es auf den Gipfel des Oybin auch in einer halben Stunde schaffen können. Dass er drei mal so viel brauchte, betrachtet er nicht als verplemperte Zeit denn er hat nicht vor, sportliche Rekorde aufzustellen sondern Eindrücke zu sammeln – d. h., er läuft unterwegs immer und überall hin und her, betastet Blümchen und Felsen oder verirrt sich auch mal ein bisschen…
Barrierefrei?
Nun kann auch bei diesem kleineren Berg natürlich nicht behauptet werden, dass die Wege auf den Gipfel des Oybin barrierefrei sind. Rollstuhlfahrer werden den hier beschriebenen Aufstieg über den gebirgstypischen Holper- und Stolperweg nicht absolvieren können. Auch der Weg an der Bergkirche vorbei geht über Treppen. Es gibt jedoch einen Bergexpress, der bis vor das Burgtor fährt. Dort ist auch ein barrierefreier Zugang zum Freilichtmuseum.
Aber wie ist es für Leute mit Sehbehinderung?
Hier kann der Großstadtwanderer selbstverständlich nur seine eigenen Erfahrungen beschreiben. Er hat diese Tour auf den Oybin allein absolviert, ist nicht in den Nymphentümpel gefallen, hat sich nicht die Haxen gebrochen und lediglich diesen steinernen Schwertaugust angerempelt. Allerdings ist er sowohl von Geburt an sehbehindert und außerdem ein erfahrener Wanderer, der sich auf die Signale seiner Füße verlassen kann. Er weiß aber auch, dass selbst völlig blinde Menschen solche Wege gehen können – allerdings mit Begleitung. Ansonsten gilt: Nichts übertreiben, sich Zeit lassen, den Weg genießen und wenns doch zu schwierig wird, auch den Mut zur Umkehr haben…
Das war ja ein tolles Erlebnis!
Auch ich habe ein Fable für Märchen und Sagen und
fand diese Schilderung einfach sehr fantasievoll und klasse … 🙂
Hoppla: „am Wegesrand stand so ein komischer Steinaugust mit Schwert in den Händen herum, den der Großstadtwanderer glatt übersieht und beim Anrempeln beinahe vom Sockel fegt“ HOPPLA, noch mal gut gegangen … 😉
Lieben Gruss ❤
Charis
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tja, is schon erstaunlich was für typen einem am wegesrand manchmal begegnen. aber das kennst du ja auch..
liebe grüße von uns
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