Es ist zwar erst Mai doch Berlin tickt, tanzt und torkelt schon voll im Sommermodus. Dazu passend haben die Wirte zwischen Wilmersdorf, Neukölln und Weißensee ihre Biergärten geöffnet damit sich die durstigen Flaneure während ihrer ziellosen Touren am Gersten- oder Weizensaft ausgiebig laben können. Selbstverständlich ist auch der Großstadtwanderer im Pulk der trinkfreudigen Spazierer anzutreffen und als sich an der Tränke mitten im Botanischen Garten auch die geheimnisvolle Besucherin auf ein Gläschen zu ihm setzt, fängt er an von den glorreichen Zeiten des legendären Berliner Trampelpfads zu erzählen…
Nächtliche Trink-, Tratsch- und Kulturtangente
Dieser ganz besondere Trampelpfad war natürlich kein Wald-und-Wiesen-Wanderweg, sondern eine nächtliche Trink- Tratsch- und Kulturtangente zwischen Kleistpark und Hermannplatz, die zuerst Göben-, dann Yorck- und Gneisenaustraße heißt, um schließlich als Hasenheide zu enden. Doch an so exakte Grenzen mochte sich der mit leicht anarchistischem Naturell gesegnete Trampelpfadgänger keineswegs halten. Durch Schöneberg bis hinein nach Charlottenburg und gar Friedenau erstreckten sich seine Exkursionen – und auf der anderen Seite erklärte er auch das alte Kreuzberg SO 36 und Teile Neuköllns zu seinem Revier. „Kreuzberg Horst“ Runkel, dieser Lokalreporter im Sinne von Kneipe meinte gar, überall dort, wo Menschen auf der nächtlichen Suche nach dem Glück von Tresen zu Tresen torkeln, sei der Trampelpfad zu finden – also auch in Buxtehude, Bosten oder Boenos Aires…
Tausend Tresen in verräucherten Kneipen
Wann und warum der Begriff Trampelpfad für diese verschlungenen Pfade zwischen tausend Tresen in verräucherten Kneipen zum ersten Mal auftauchte, kann der Großstadtwanderer leider auch nicht sagen. Horst Runkel hatte ihn in der Kreuzberger Neuen Zeitung populär gemacht, aber keineswegs erfunden und der Großstadtwanderer, den Viele für den wahren Schöpfer des Trampelpfades halten, muss diese große Ehre auch ablehnen weil er es nicht wagt, sich mit den vielbesungenen fremden Federn zu schmücken. Der Begriff tauchte kurz vor 1970 einfach aus dem Nichts auf und wurde von Nacht zu Nacht immer mehr zum Synonym für diese bunte Polit-, Kultur- und Kneipenszene.
Wohnzimmer für durstige Massen
Womöglich sind gar diese Achtundsechziger, wer immer die auch waren, für den Westberliner Trampelpfad verantwortlich. Bekanntlich hatten die ja bei allen möglichen politischen und sozialen Umbrüchen ihre Unterwanderfinger im Spiel und warum nicht auch bei den geradezu revolutionären Veränderungen in der Berliner Kneipenszene, ohne die es den Trampelpfad nie gegeben hätte. Die durstigen Massen besetzten altehrwürdige Berliner Lokale, um sie in sogenannte linke Kneipen zu verwandeln und da die vorhandenen Kapazitäten bald überfordert waren, wurden leer stehende Läden aller Art linksgastronomisch übernommen, um den ewig durstigen Polit- und Kulturfreaks zusätzliche Wohnzimmer für Trunk und Talk und Tabakgenuss zu bieten.
Natürlich hieß auch eine Kreuzberger Kneipe Wohnzimmer und selbst heute schmückt sich ein Lokal in Prenzlauer Berg mit diesem Namen auch wenn gegenwärtige Kneipentourgänger beim Wort Trampelpfad offenbar nur noch an holprige Wege in grünen Oasen Berlins und anderswo denken. Auf solchen möchte der Großstadtwanderer momentan aber nicht unterwegs sein, weils dort selten köstliche Getränke aus Hopfen und Malz gibt. Daher überredet er die geheimnisvolle Besucherin zu einer kleinen Tour durch Berliner Kneipen bis sie schließlich im Biergarten vom Wirtshaus Hasenheide am Rande von Kreuzberg landen. Dazu fallen ihm natürlich auch sofort ein paar Erinnerungen ein…
Jazzfrühschoppen im Wirtshaus Hasenheide
Dieses urige Lokal, das sowohl Restaurant wie Kneipe ist, war einst auch mal eine bedeutende Einkehrstation am Trampelpfad – allerdings nicht in erster Linie während der langen Kreuzberger Nächte, sondern vor allem am Sonntag Vormittag. Dann trafen sich hier zum Jazzfrühschoppen Nachtschwärmer, die noch immer nicht nach Hause gehen wollten mit ausgeruhten Frühaufstehern, für die das Wirtshaus Hasenheide der vielversprechende Einstieg in eine abenteuerliche Kneipenodyssee war.
In den Achtzigerjahren, als in den Kneipen noch kräftig gequalmt wurde, waren diese Jazzfrühschoppen weit über die Westberliner Szene hinaus berühmt. Viele gute Bands und Interpreten traten hier auf und eine ist dem Großstadtwanderer insbesondere wegen des Drummers Gerd Tenzer für immer in Erinnerung geblieben. Gerd hatte damals, ’83 oder ’84, ein neues Trio formiert. Der Banjospieler war völlig unbekannt und der Typ mit dem Sopransaxophon kam von den Red Onions. Diese Minimalbesetzung sorgte vor dem ersten Auftritt innerhalb der manchmal zum Nörgeln neigenden Westberliner Jazz-Community für skeptisches Hintergrundrauschen und der Verzicht auf einen Bassisten galt zunächst sogar als Sakrileg. Trotzdem oder gerade deswegen war der Andrang so groß, dass kein Platz mehr blieb für das dekorative Kamel, dem damaligen Maskottchen vom Wirtshaus Hasenheide.
Die Skeptiker hatten übrigens die schlechtesten Karten an diesem Vormittag denn bereits beim ersten Stück zeigte sich, welch hervorragende Mischung Gerd Tenzer mit dieser Kleinstformation gelungen war. Die Synkopen des Banjospielers klangen, als wäre der Mann geradewegs aus dem guten alten New Orleans gekommen und das Sopransax brachte die erwarteten Höhenflüge.
Das Besondere an diesem Trio aber war Gerd Tenzer selbst. Dieser Drummer, der sich übrgiens auch noch als Grafiker des Trampelpfads einen Namen gemacht hatte, war bekannt für seine dezente, einfühlsame und dennoch mitreißende Spielweise. Er war niemals nur ein Takttrommler gewesen, auch keiner, der nur mit technischem Können und Lautstärke voranpreschte. Bei diesem Auftritt aber zeigte Gerd, dass sein Schlagzeug sprechen, ja sogar erzählen konnte. Schnurrendes Snare und flüsternde Becken, leicht unterkühlte und trotzdem wärmende Streicheleinheiten, überwiegend nur mit Besen gespielt, versetzten das Publikum in eine geradezu andächtige Stimmung. Das war musikalische Meditation, die vom eher traditionellen Jazz ausgehend, aktuelle Entwicklungen wohl dosiert einbezog. Da war sogar der Kneipenreporter der Neuen Kreuzberger Zeitung – normalerweise eher zur Ironie neigend – ganz ernsthaft begeistert…
Brunch statt Jazzfrühschoppen
Alles schon wieder Geschichte. Kein dekoratives Kamel mehr in der Ecke, dafür in den Regalen Radios und Schreibmaschienen aus der vordigitalen Epoche…
Regelmäßige Jazzfrühschoppen in rauchgeschwängerter Atmosphäre gibt es in diesem Lokal mit dem Alt-Berlin-Ambiente auch nicht mehr. Dafür spricht die geheimnisvolle Besucherin plötzlich von einer ernsthaften Hungerattacke. Diese sei keineswegs historisch sondern höchst gegenwärtig und müsse einer zeitnahen Lösung zugeführt werden. Sie plädiere daher für die sofortige Nutzung des Brunchbuffets, von dem sie zwar schon einiges gehört, aber noch nie probiert hätte. Dieser Wunsch der geheimnisvollen Besucherin trifft auf die ungeteilte Zustimmung des Großstadtwanderers, der auch nicht nur von Erinnerungen und Bier satt werden möchte. Er kann sich durchaus vorstellen, ein etwas opulenteres Mittagsmal zu verputzen – irgendwas Deftiges mit Knödel vielleicht…
Fotos: 1. Vera Schwarz, alle weiteren peter bachstein
Das ist eine sehr schöne Beschreibung der Szene von damals.
Mir kam es vor beim lesen, als wenn ich dabei gewesen wäre.
Danke Peter und eine schöne Woche.
LikeGefällt 1 Person
Hallo Männe, es freut mich, dass dir meine Einstiegsgeschichte in die Trampelpfad serie gefallen hat. Es werden weitere folgen
LikeLike
Eine ganze Serie?
Erstaunlich. Du musst viel erlebt haben.
Übrigens … Charis hat ein neues Bloggertreffen angeregt.
https://maenne2456.wordpress.com/2016/05/29/21-kalenderwoche-2016/
LikeGefällt 2 Personen
2 Fotos gefallen mir ganz besonders:
Das Röhrenradio {hatten wir von der Firma ‚Jubilate‘} und
die mechanische Schreibmaschine. Ich habe früher mal auf
einer alten ‚Adler‘ versucht zu tippen, hätte aber ein Hämmerchen dazu gebraucht … 😉
LikeGefällt 1 Person
Während meiner Kindheit und Jugend waren solche Geräte nichts historisches, sondern alltäglich. Auf solchen Schreibmaschinen habe ich 1960 meinen ersten Schreibmaschinenkurs SuS absolviert. Selbst während meines Studiums in den siebziger Jahren habe ich auf so einem alten eisernen Büro Hobel zahlreiche Hausarbeiten und Abschlussarbeiten getippt. Dabei konnte es passieren, dass beim unterstreichen das Papier von den harten Typen durchgeschnitten wurde. Auch das ist schon wieder Geschichte und nur noch spannende Erinnerung.
LikeGefällt 1 Person
Geschichte und Geschichten bewegen die Welt … 🙂
Die Elektronik hat auch ihre Tücken – die Chips, die Platinen u.a. wurden in den ’80ern noch per Hand gelötet, seit 1999 nur noch ausgetauscht und {hoffentlich fachgerecht} entsorgt. Als Ressourcen für Neuherstellung nur selten gesammelt im wiedervereinten Germanski … 😉
LikeGefällt 1 Person
Schau mal hier:
https://monstermeute.wordpress.com/2016/07/04/alte-schreibmaschinen/
LikeLike
einer unserer sohnemänner – aufstrebender informatiker – ist rettungslos fasziniert von meinem uralten commodore…
LikeGefällt 1 Person